Nachlese
Wenn’s läuft, dann läufts…
Über das ursprüngliche Experiment, den Roman oder die Verfilmung inhaltlich zu philosophieren, ist müßig. „Die Welle“ gehört bestimmt zu jenen modernen Werken, die am gründlichsten auseinandergenommen, analysiert und wieder zusammengesetzt wurden. Als der Lehrer Ron Jones 1967 seinen Klassenversuch „The Third Wave“ initiierte, ahnte er wohl kaum, dass er einen Hype entfesseln würde, der jahrzehntelang immer wieder aufgegriffen werden würde und bis heute nachhallt.
Bei der Aufführung des Jugend-Theaterclubs im Emailwerk war zu Beginn ein wenig dieser nicht untypischen Überheblichkeit von Erwachsenen gegenüber Kindern zu spüren. Diese äußert sich im Vorfeld zumeist in einer etwas salbungsvollen Milde gegenüber dem zu Erwartenden und zugleich in einer von hyperstolzen und -nervösen Eltern ausgelösten Unruhe vor dem Aufführungsbeginn, die man bei Veranstaltungen von und für Erwachsene so nicht wahrnimmt. Beides scheint „dazuzugehören“ und ist gelernt, beides ist aber ebenso unnötig, denn die Vorbereitung, der Probenaufwand und die Hingabe, mit der sich die jungen Menschen ihrem Theaterprojekt im Vorfeld gewidmet haben und auf der Bühne widmen, steht dem von älteren Menschen nicht nach.
Sie sehen, allein durch die Streichung des „Erwachsenen“ verändert sich der Blickpunkt bereits ein wenig. Eine, die ganz besonders dafür gesorgt hat, die Grenzen zu verwischen, ist die künstlerische Leiterin und Regisseurin Lydia Nassall. Ihre durchdachte Inszenierung verbindet die verschiedenen Handlungsorte auf der Bühne im Handumdrehen miteinander und durch die Integration von liebevollen Details wie zum Beispiel eines Popcornspenders oder eines Friedensbaum haucht sie jedem Schauplatz ein zusätzliches Stück Realismus ein und holt die gesamte Geschichte durch die Einbindung von Sozial Media Elementen weiter in die Gegenwart.
Dass „Die Welle“ aber so mitreißend und mit fliegenden Fahnen durch den Abend rollte, ist aber letzten Endes dem Ensemble zu verdanken. Wenn Schülerinnen und Schüler zwar in eine andere Verhaltensrolle schlüpfen, letztendlich aber als Schüler in ihrer eigenen Domäne spielen, dann ist es einfach echt so echt. Vermutlich wird niemand, der an Jahren dieser Jugendlichkeit entwachsen ist und für den „Schule“ nur noch eine ausgestaltete Erinnerung ist, diese Rollen je so übernehmen können, wie die Schauspielerinnen an ebendiesem Abend.
Es war alles zusammen: Berührend, spannend, mancherorts lustig und in so vielen Teilen hat das Spiel des gesamten Ensembles nach dem Herz gegriffen…und es auch berührt. Auch wenn man Rahmen und Geschichte ausklammert und versucht einmal allein die schauspielerische Technik zu betrachten, kann man nicht anders als allen Mitwirkenden eine kräftiges „Chapeau!“ auf die Bühne zu rufen – was übrigens nach Vorstellungsende auch geschah.
An dieser Stelle soll auch erwähnt werden, dass die drei, gut nennen wir sie noch ein letztes Mal „Erwachsenen“, die sinnigerweise als Lehrer, Ehefrau und Schuldirektorin auf der Welle mitsurften, ihren jüngeren Kolleginnen nicht nachstanden und ihre Rollen brillant besetzten. Ein tolles Stück, eine tolle Inszenierung, ein tolles Ensemble, ein toller Abend! Bitte bald wieder!
(mw)