Nachlese
Wenn die Engeln fallen
Simon Zöchbauer, dem Publikum bestens als treibenden Kraft im gefeierten österreichischen Ensemble „Federspiel“ bekannt oder aus der berührenden Duo-Arbeit bei „Ramsch&Rosen“, mit Lebensgefährtin Julia Lacherstorfer, überraschte am letzten Konzertabend im Emailwerk vor dem neuerlichen Kultur-Lockdown (dieses Konzert wurde schon einmal abgesagt - am 13. März) mit ganz anderen Klängen (und einer Welt-Uraufführung - "Melting").
In kongenialem Zusammenspiel mit dem Koehne Quartett zur Seite - ein Streichquartett, das im Bereich der zeitgenössischen Musik zu den führenden Ensembles Europas zählt - präsentierte Simon Zöchbauer sein aktuelles Werk: „Achad“.
„Achad“ – ein aus dem Hebräischen stammendes Wort, das Eins, Einheit oder Ganzheit ausdrückt. Die Suche nach dem eigenen Klang war der Ausgangspunkt dieses Werks, für das er sowohl als Komponist, als auch als Interpret und Produzent verantwortlich zeichnet. Neben dem Koehne Quartett war auch noch ein unsichtbarer - aber gut hörbarer Partner dieses Herzensprojekts mit auf der Bühne: Schlagzeuger und Soundtüftler Sixtus Preiss - in der Wiener Jazz-Szene ebenso umtriebig wie in geläufigerer Club-Elektronik. Er sorgte für die elektronischen Klangbilder, die mittels Laptop eingespielt wurden.
"Eins", das nicht nur für Einheit oder Ganzheit steht, man könnte es auch als Symbol für einen Anfang, einen ersten Schritt interpretieren, und genauso fühlt sich diese Musik an. Ja, man hört nicht nur, diese Kompositionen lösen ganz starke Gefühle aus, man möchte beim Hören permanent die Augen schließen oder - wie es Emailwerk-Leiterin Verena Fellinger in einem verborgenen Winkel auf der Galerie tat - sich einfach hinlegen und sich mit dieser Musik übergießen lassen.
Die verführerischen Anklänge an das Sakrale, wie es auch der eine oder andere Titel wie „Fall der Engel“, „Zabaoth“, „Erlösung“ oder „Hymnus“ suggeriert, erzeugen in der Verarbeitung mit klassischen oder volksmusikalischen Zitaten etwas ganz Besonderes. Zöchbauer, der sich selbst als Erkunder und Suchender bezeichnet, wurde hier vielerorts fündig und verwob alles mit seiner außergewöhnlichen Kreativität zu einem klingenden und fliegenden Teppich, der nichts vereinnahmt und dadurch eine hohe Eigenständigkeit erlangt. Hier standen Jazz und Barock als Freunde gemeinsam Pate, um nur zwei davon zu nennen.
Als Solist an der (den) Trompete(n) fesselt Simon Zöchbauer durch intelligente Skalierung der Dynamik und ein unglaubliche Klangfarbenvielfalt. Es ist offensichtlich, dass er diese Interpretationen mit einer Fülle von Gedanken, Sorgfalt, Geduld und Übung überhäuft hat, und seine Hingabe wird durch atemlose Stille im Publikumsraum belohnt. Er erreicht auch seine klangliche auch eine emotionale Vielfalt, indem er innerhalb der Stücke nicht nur die Standardtrompete - oft mit einem Becherdämpfer - verwendet, auch Flügelhorn und Piccolotrompete tragen zum atmosphärischen Bild bei. Gerade der hohe und fast nasale Pitch, den die Trompete mit einem Dämpfer erhält, sticht hervor und verleiht dem Instrument große Klarheit.
Die hohe Meisterschaft in diesem Werk aber zeigt sich am deutlichsten in Zöchbauers nahtlosen Musizieren mit dem Ensemble - ob er nun plätschernde Melodien mit den ersten Violinen tauschte oder sich mit einem eigenen plüschigen Timbre in den Streicherklang einfügte, seine Beiträge waren ausgewogen, präzise und immer in der perfekten Lautstärke. Die großartigen und virtuosen Streicherinnen des Koehne Quartetts schaffen es auf selbstverständliche Weise, mit großem Charakter in den Geist dieser Musik voll kompositorischer Schönheit einzutreten - die Fünf musizieren, als wären sie miteinander verschmolzen.
In diesem Sinne ist der "Fall der Engel" eigentlich nur als Gewinn für die Zuhörenden zu interpretieren. Die Kulturjournalistin Karoline Pilcz schreibt über diesen engelhaften Zustand: "...als ob es in der Musikgeschichte nie etwas anderes als das Zusammen von Trompete und Streichquartett gegeben hätte. Das Ensemble vermittelt dem Zuhörer ein Gefühl von Einheit, von Einssein und von einem Ganzen, von dem man meint, es wäre immer schon da gewesen." Wie diese fünf Engel auf der Bühne des Emailwerks. Sie schafften es, den neuerlich schmerzlichen Lockdown der Salzburger Kulturszene wenigstens für zwei Stunden zu vergessen...
(lf)