Nachlese
Wenn die Abende klingen
Wenn der Kammerchor Salzburg seine Stimmen erhebt, um die vorweihnachtlichen Abende zum Klingen zu bringen, dann hört man keine Neonsterne funkeln. Es leuchten auch keine Plastik-Nikolos vor dem hörenden Auge, ebenso wenig glitzert das Lametta von den Wänden. Es ist vielmehr, als ob eine unsichtbare Hand in absoluter Dunkelheit eine Kerze entzündet. Wie von selbst folgt eine zweite, die dritte lässt nicht auf sich warten und ehe man sich versieht, sitzt man in einem akustischen Kerzenmeer, das - und das ist kein Widerspruch - in seiner filigranen, flackernden Feinheit seine Umgebung mit einem anmutigen Schein erleuchtet, wie es kein Glühbirnderl je vermögen könnte.
Die lateinische Redewendung „e pluribus unum“ beschreibt recht gut, wie Stephan Höllwerth aus den vielen ausdruckstarken Stimmen des Kammerchors eine wogende Flamme formt, die sich wie von einer feinen Brise getrieben mal fast erlöschend bläulich, mal rotgelb mächtig durch den Abend brennt.
Schon beim eingehenden „O Magnus Misterium“ nach William Byrd wurde dieses wallende Spiel der Töne nahezu sichtbar. Auch beim folgenden „O Nata Lux“ von Thomas Tallis zeichnete das sanfte gegeneinander Aufbranden von Frauen- und Männerstimmen ein ähnliches Bild. Wie es klingt, wenn zwei Lichtgestalten interagieren, veranschaulicht der Kammerchor im Stück „A Hymn to the Virgin“ (Benjamin Britten) am Beispiel der jungfräulichen Mutter Maria und Urmutter Eva. Beide stehen symbolisch für einen Ursprung und sind dennoch höchst unterschiedlichen Geistes Kind. Höllwerth betont diese Divergenz mit dem getrennten Chor, die Sängerinnen und Sänger setzen sie klanglich mitreißend um. Ganz besonders gut in die Atmosphäre der auf- und vergehenden Lichter passt das „O Nata Lux“ von Guy Forbes. Forbes arbeitet in seiner Interpretation eine fesselnde, tatsächlich flackernde Dynamik heraus, noch viel mehr jedoch ist es das verwobene Spiel der Stimmen, die den weichen und trotzdem unausweichlichen Charakter des sich gebärenden Lichts so trefflich beschreibt. Auch bei diesem Stück folgt der Chor der Gesinnung des Arrangeurs mit jedem Ton.
Im zweiten Teil des Abends bittet das Ensemble Benjamin Britten in Begleitung von Harfenistin Doris Rehm auf die Bühne. „A Ceremony of Carols“ ist sowohl für Chor als auch für das Publikum eine Liederfolge, die ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erfordert. Wenn man sich verträumt vom Kerzenschein einfangen lässt, brennt im nächsten Moment der Rockzipfel, rein akustisch natürlich. Die Ausgestaltung der Stücke ist in ihrer Anmutung so konträr, dass sie auf beiden Seiten der Bühne die ständige Bereitschaft zu einem neuen Zugang einfordern. Das mag im kerzlich-klingenden Abend die Besinnlichkeit etwas herausfordern, aber Poesie ist nicht gleich Entspannung und ein Konzert halt kein Rosengarten! Stephan Höllwerth, seinem Kammerchor und der begleitenden Doris Rehm darf man die lodernde Wertschätzung aussprechen. Selten ein Advent, der so geleuchtet hat.
(mw)