Nachlese

15.06.2021 10:00 - Uhr

Wandelbare Frau im Wandel der Zeit

Eine junge Sängerin, die sich zu einem Soloabend entschließt, gehört wohl mitunter zum Mutigsten und Anspruchsvollsten, was der Kulturquelle so entspringen kann. Die bloße Vorstellung treibt so manchem die Schweißperlen ins Gesicht. Mezzosopranistin Miriam Bitschnau besingt an diesem Abend nicht nur die wandelbare Gestalt und uferlose Kraft der Frau, sie tritt auch physisch und mental den Beweis an, dass das der Aphorismus vom schwache Geschlecht einer maskulinen Feder entsprungen ist.

Diesen Ansatz nimmt Bitschnau auch gerne als roten Faden in die Hand. So heißt das Thema des Abends zwar Frauen()gestalten, aber in vielerlei Hinsicht geht es weniger um die tatsächliche Rolle der Frau im Lauf der Geschichte, sondern vielmehr darum, wie sie der Mann angelegt, niedergeschrieben und überliefert hat. Gerade in der Musik, eine über die Jahrhunderte von Männern regierte Domäne, zeigt sich praktisch nie das Selbstbildnis der Frau, sondern wie ‚Mann‘ sie musikalisch gemalt hat. Und genau in diese Kerbe wirbelt Bitschnau ihre vokale Axt. Sie nimmt sich Brahms, Schumann, Mozart, Purcell und wie sie alle heißen vor und in die Brust und fährt ein Programm, das man schlicht mit einem Prädikat versehen kann – herausragend!

Bitschnau wandelt sich vom verspielten Mädchen und der bösen Nixe, über die laszive Diva bis zur verruchten Barsängerin, an einem Abend, auf einer Bühne. Sie beschwört das große Drama wie in Stenhammars „Jungfru blond och Jungfru brunett“, singt sich durch ein ariengleiches „La Rosa y el Sauce“ von Guastavino und verfällt Minuten später in Schumanns „Ich stand in dunklen Träumen“ dem schneidensten Herzschmerz. Miriam Bitschnau begnügt sich dabei jedoch nicht mit der brillanten und so reich verzierten Wiedergabe der ohnehin diffizilen und schwierigen Stücke. Sie findet in ihrem Auftritt noch Platz, jedes ihrer Lieder mit einer Gestik und Mimik zu untermalen, die einer reinrassigen Schauspielerin zur Ehre gereicht hätte. In ihrem reichhaltigen Repertoire des körperlichen Ausdrucks finden sich unschuldig blinzelnde Mädels, das furchteinflößende, männerfressende Böse und – man muss es einfach erwähnen, in Depenbuschs „Benjamin“ ein gesungener und gespielter Höhepunkt, der zweifellos das gesamte Publikum an die berühmte, gleichartige Filmszene aus „Harry und Sally“ denken ließ.

An dieser Stelle soll auch Lukas Moser, der Angesicht dieser Performance einen klaren Kopf behalten hat, ein mehr als großes Lob ausgesprochen werden. Er begleitete Bitschnau mit einer derartigen Perfektion durch den Abend, dass man sprachlos werden könnte. Jedes Lied von völlig anderem Charakter zeigt sich Moser nicht minder wandelbar als Bitschnau und fühlt sich ganz wunderbar in den jeweiligen emotionalen Zustand der Sängerin ein. Trotz seiner jungen Jahre zählt Lukas Moser schon jetzt zu den genialsten Pianisten seiner Generation.

Ulrika Rapp kommt schließlich die Rolle der Moderatorin dieses Abends zu. Sie eröffnet dem begeisterten Publikum neue Sichtweisen und Denkansätze sowie eine Fülle von Hintergründen zu den einzelnen Stücken und stellt im historischen Kontext die, aus heutiger Sicht manchmal abstrusen Ansichten der Komponisten, in einem für die Männerwelt nicht unbedingt schmeichelhaften Licht dar. Die musikalische Summe dieses Abends liefert ein sehr bewegendes Bild der Frauenrolle von einst bis jetzt, mitsamt unzähliger Schubladen in die Frauen gesteckt wurden und immer noch werden. Gleichsam holen die drei KünstlerInnen zu einem treffenden, zugleich jedoch äußerst sympathischen Schlag auf eine testosteronzementierte Welt aus, indem sie die kraftvolle und vorantreibende Macht „Frau“ aus dem männergeformten Mythos befreien und in ein sehr reales Bild rücken. ‚Mann‘ darf Miriam Bitschnau zu diesem großartigen Abend von Herzen gratulieren. Sowohl künstlerisch als auch dramaturgisch flog das Niveau weit über dem, was ‚Mann‘ seiner ‚ach so zerbrechlichen‘ Mitspielerin gerne zugesteht. Die Welt hat sich gewandelt…

(mw)