Nachlese
Vierhundertfünfzehn
Was geschieht, wenn man bei abnehmendem Mond seine Instrumente auf 415 statt auf 440 Hertz stimmt und dann ein Konzert spielt? So wie beim Mond, der sich langsam vom vollen Leuchten zurückzieht, entspannen sich bei den Instrumenten nicht nur die Saiten, die Wirkung ist vielschichtiger und intensiver. Ein Ton. Ich höre ihn. Ich merke, wie er sich einen Weg bahnen will, tiefer in mein Bewusstsein. Ich schließe meine Augen. Klang kann Blockaden lösen, er hilft, wieder in Balance zu kommen. Nein, ich berichte nicht aus der Praxis eines Klangtherapeuten. Ich lausche den Klängen von ALMA, die mit ihrem aktuellen Programm CHERUBIM ins Emailwerk Seekirchen einluden, eine Einladung in die Stille.
Sie spielen auf alten Instrumenten, in alter Stimmung, die Harmonika musste für diese Stimmung erst gebaut werden. Die Wirkung dieser Maßnahme entfaltet sich aber erst in Kombination mit den Kompositionen und Bearbeitungen der fünf jungen MusikerInnen. Noch einmal zurück zum Mond. Er wird seit Jahrtausenden besonders mit der femininen Kraft in Verbindung gesetzt. Das Feminine steht traditionell für alles Fühlende und Emotionale, aber auch für Intuition und Kreativität. All das wird beim Konzert von Alma spürbar. Nicht weil vier der fünf Talente Frauen sind, nein, diese Musik spricht unsere weibliche Seite an, egal welchem Geschlecht wir angehören. Es ist eine sensible und intuitionsgeprägte Reise in die Zwischenwelten der Musik. Nein, wir hören hier nicht Klassik oder Volksmusik, nicht Tradition oder Moderne, wir entdecken beim Hören die Klangwelten dazwischen. Darum ist es völlig nebensächlich, ob nun Walzer oder Polka, Bourrée und Musette der Träger der feingewobenen Arrangements ist, entscheidend ist die Emotion, von der alles getragen wird, dieses tiefe, alte Wissen um Musik, das man nicht aufschreiben oder halten kann, sondern nur im Moment musizieren.
In der Bibel sind Cherubim Engel von hohem Rang, die für besondere Aufgaben herangezogen werden. Zum ersten Mal tauchen sie in der Genesis auf, wo sie nach dem Sündenfall und der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Garten Eden von Gott als Wächter vor dessen Zugang aufgestellt werden. Übertragen auf das Konzert CHERUBIM und im Wissen, dass bei Martin Luther der abnehmende Mond altes Licht, der zunehmende junges Licht genannt wurde, zelebrieren diese musikalischen Geschöpfe etwas, das wir im Moment des Hörens noch gar nicht erfassen können. Dieses "alte" musikalische Wissen in den gestaltgebenden Händen so junger Musikschaffenden, das ist etwas Besonderes. Diese Musik geht tiefer, hält sich länger in unseren Gehörgängen und Nervenbahnen und macht vieles andere vergessen.
Ja, das passt alles gut in die Adventszeit, aber nicht nur. Diese Musik ist zeitlos, sie pulsiert in sich und über Jahreszeiten und Mondphasen hinweg. Aber, wenn so wie am vierzehnten Dezember die Energie des Mondes abnimmt, ist es gut, sich zurückzuziehen und zu reflektieren, wo man steht. Diese musikalische Erfahrung hilft dabei sicher, besonders, wenn man sich auf entspannende vierhundertfünfzehn Hertz einlässt.
Schöne Weihnachten.
(lf)