Nachlese
Sound satt
Beim Bühnenaufgang von Gospelnoize benötigt man ein wenig Geduld, aber wenn sich die 60(!) Sängerinnen und Sänger samt Instrumentalisten dann einmal auf der Bühne gesammelt haben, spielt es, wie man so schön sagt, Granada. Doch der Reihe nach. Ein Ensemble dieser Größe verlangt nicht nur ein hohes Maß an Disziplin, sondern auch dem Dirigenten alles ab. Der muss in ständigem Kontakt zu den VokalistInnen bleiben, was in dieser Größenordnung schon mehr als eine Aufgabe ist.
Im Fall von Gospelnoize war es Samuel Lange, der es meisterhaft verstand, das Vokalheer rund zwei Stunden an sich zu fesseln und, bei aller für den Gospel notwendigen, emotionalen Lebendigkeit, präzise durch den Abend zu führen. Die zweite Leitschiene parkte in Form von Richard Griesfelder am Flügel und sorgte zusammen mit sechs brillanten MusikerInnen für die perfekte instrumentale Begleitung durch einen von Leidenschaft und Gefühlswallungen geradezu berstenden Abend.
Das Ensemble unter der musikalischen Gesamtleitung von Richard Griesfelder verschreibt sich in vielen Teilen der traditionell amerikanischen Form des Gospel. Das beginnt bei den einheitlichen Roben, die dem Chor schon optisch eine enorme Präsenz verleihen und endet bei der Interpretation und Hingabe, mit der die SängerInnen jedes einzelne Stück bis zum Rand ausfüllen. Dabei begnügt sich das Ensemble jedoch nicht mit der Wiedergabe von Genreklassikern, vielmehr wurden fast alle Arrangements neu interpretiert, was dem Konzert eine äußerst faszinierende Anmutung verlieh. Am deutlichsten wurde diese musikalische Selbstbestimmung in einem Stück mit dem Titel „Es wird scho glei amazing“ in dem Griesfelder in seiner Eigenschaft als Komponist kurzerhand „Es wird scho glei Dumpa“ mit der englischsprachigen Hymne „Amazing Grace“ zu einem Stück verschmolz. Echtes Gänsehautfeeling bekam das Weihnachtsprogramm von Gospelnoize auch durch den Dialog einer ganzen Reihe begnadeter SolistInnen mit dem Chor, was das Publikum an vielen Stellen in das sprichwörtliche Wechselbad der Gefühle warf. Der akustische Kontrast zwischen den, manchmal jazzigen, manchmal groovigen und manchmal herzberührenden Soli und der immensen Klangwucht aus 60 Kehlen ließ die Zuhörer mehr als einmal von der ersten bis zur letzten Reihe erschauern. Generell versteht es das Ensemble meisterhaft mit seinem Potenzial zu spielen. SängerInnen und Dirigat arbeiten die Dynamik der Stücke auf das Feinste heraus, was bei dieser Größe eine echte Herausforderung darstellt. Gospelnoize spielte an diesem Abend ohne Unterlass ganz vortrefflich mit dem Gleichgewicht zwischen der, gerade für den Gospel, unabdingbaren Emotion und Inbrunst und der für eine klanglich fokussierte Wiedergabe erforderlichen Präzision und Achtsamkeit. Ein vorweihnachtliches Genussprojekt mit begeisterten Menschen beidseits der Bühne!
(mw)