Nachlese

06.10.2024 10:00 - Uhr

Sinn und musikalische Sinnlichkeit

Was passiert, wenn die reichen und ätherischen Klänge eines Ausnahme-Komponisten und Hang-Virtuosen auf ein aus drei Frauenstimmen bestehendes Gesangsensemble treffen? Eines, das von sich sagt, die musikalische Schönheit und die emotionale Botschaft ihrer Songs neben Improvisation und Performance-Elementen das Wichtigste ist?

Die Antwort: Es ist keine Addition, eher eine Potenzierung, eine Verstärkung zweier Klangwelten über die bloße Summe beider hinaus. Es entsteht ein mit unzähligen Gefühlen beschichtete Klangfarbe, die tief ins Innere des Zuhörers, der Zuhörerin eindringt. Das Rückgrat des perkussiven Spiels auf dem Hang bildet die treibende Grundlage für den kristallinen Sound der drei Sängerinnen, unterstützt von Clemens Rofners Bass- und Synth-Einlagen, die oft die Brücke zwischen Hang und Stimmbändern bilden.

Das Publikum wird in dieses dunkle, von klanglichen und farblichen Blautönen dominierte, fließende Ambiente gehüllt, die Bühne ein schwebend fragiler Ort, der nur einen Bruch erlebt, wenn Man Delago ans Schlagzeug wechselt und sich ein hochenergetischer Fluss an Beats sich über die Zuhörenden ergießt.

Zeitgleich erstellen Anna Widauer, Mimi Schmid, Valerie Costa, Clemens Rofner und Manu Delago drei Gemälde, faktisch im Fluss der Töne gemalt, Acryl auf Leinwand, am Ende des Konzertes wird die Kunst versteigert. Ein schöner Aspekt, wie viele andere Ideen, für die Manu Delago im Laufe seiner Karriere verantwortlich zeichnet, immer auf der Suche nach Neuem, er erkundet die Welt da draußen, indem er das Vorhersehbare meidet und dadurch das Besondere findet.

"Snow From Yesterday", so nicht nur der Titel der Tour, sondern auch des Musikstücks, das eine Ode an das sich verändernde Klima und die unsicheren Zeiten ist, ein Thema, für das Manu Delago brennt und komponiert. Aber auch der Mensch an sich scheint ihn immer wieder zu bewegen, "Modern People" ist eine Rückschau, die auf den modernen Menschen blickt, der Wälder abgeholzt, Flüsse vergiftet und Tiere ausgerottet hat. Und beinahe sich selbst. Berührend, so wie das ganze Programm: ein Meisterwerk an Sinn und musikalischer Sinnlichkeit.

(lf)