Nachlese
Rollenspiele
Es ist fraglich, ob Grimm, Andersen & Co ihre Märchen tatsächlich unter dem Aspekt der fallweisen Verwendung zu Erziehungszwecken verfasst haben. Fakt ist, Märchen wurden und werden gerne dazu herangezogen. Die klar gezeichneten Archetypen von gut und böse, dumm und gescheit, reich und arm sind für Kinder einfach zu erfassen. Das gilt auch für die tradierten Rollen von Mann und Frau. Der männliche Protagonist ist im Märchen zumeist kühn und stark, ein Macher und Problemlöser. Die Frau muss entweder gerettet werden oder ist eine Hexe. So weit so einfach.
Auch in der Rumpelstilzchen-Inszenierung der Theaterachse, unter der Regie von Mathias Schuh, fallen die Darsteller nicht aus dieser Rolle. Der Vater ist zwar liebevoll aber doch Patriarch und im althergebrachten Rollenbild der putzenden und kochenden Frau verfangen. Die Tochter putzt und kocht nach Leibeskräften. Der König ist ganz Macho, Gebieter und vielleicht nicht ganz hell. Aber ganz dabei möchte es Schuh dann nicht belassen. Er versteht es ganz vortrefflich die Inszenierung mit einer Vielzahl liebevoll eingebauter Details zu bereichern, die mit dem antiquierten Rollenspiel brechen, ohne jedoch, und das ist das eigentliche Kunststück, das junge Publikum mit einer aufklärerischen Keule der kindgerechten Märchenwelt zu entreißen. So hat Tochter Melina genug Raum im Stück, um ihrem Vater klar zu machen, dass sie als Mädchen mehr leistet und zustande bringt, als die träge Jungenschaft in anderen Familien. Auch gegenüber dem König leistet sie sich ein paar Schnippigkeiten wo der männliche Hofstaat zusammenkneift. Im ganzen Stück trifft man auf kleine Verzierungen, die die Geschichte mehr in die Gegenwart holen und an den stereotypen Geschlechtervorurteien nagen – mit Charme und kindgerecht verpackt. Karoline Schragen und Wolfgang Kandler verkörpern ihre Charaktere in diesem Sinn. Weder zu klassisch noch zu überbetont bewegen sie sich ganz spielerisch zwischen dem eigentlichen Märchen und der Botschaft der Gleichberechtigung, so unkompliziert dargestellt, dass die jungen Zuschauer den Tanz zwischen den Zeilen als ganz selbstverständlich annehmen können. Dass sich die Königin (vormals Müllerstochter), die von ihrem Mann mehr als Zierrat denn als Partnerin gehandhabt wird, mit ihrem wahren Herzensmensch in die Schweiz absetzt nachdem sie Rumpelstilzchen enttarnt hat, ist das passende Happy End für dieses Märchen. Frau hat schließlich die Wahl.
(mw)