Nachlese

19.07.2020 12:00 - Uhr

Psychohygiene auf gut Bayrisch

 

Gerhard Polt hat einmal gesagt: "Ich bin ein Mensch, der gern auf dieser Welt ist". Für einen, der die Welt seit Jahrzehnten in einem kritischen Fadenkreuz beobachtet, ist das ein großer Satz. Ist die Welt wirklich so, dass wir sie mögen wollen? Ja, denn wir haben keine andere, zudem wissen wir, dass Veränderungen zum Guten nur langsam vor sich gehen. "Mir pressiert's net", mein Polt dazu. Und schreibt seit Jahren Bühnentexte, die einer gesellschaftlichen Psychohygiene nahekommen. Wie ein Spiegel, durch den man durchsehen kann, der einem die eine oder andere eigene (in)transparente Fehlhaltung offenbart.

Dabei geht es bei der Psychohygiene im Wesentlichen um drei Faktoren: Die Pflege bzw. Hygiene des Geistes, die Prävention, also Schutz vor zukünftigen Problemen und die Heilung bestehender geistiger Krankheiten und Defekte. Wenn man sich das neue Programm von Edi Jäger und Anita Köchl "hineinzieht", das sich ausschließlich mit den Texten Gerhard Polts beschäftigt, dann ist das nicht weit von einer Therapie entfernt. Eintrittskarte statt Krankenschein, heißt die Devise.

Gemeinsam mit dem Regisseur Hans Peter Horner haben die beiden Seekirchner Schauspieler*innen ein Programm auf die Bühne gestellt, das seinesgleichen sucht. Allein die Auswahl der Texte muss Wochen verschlungen haben. Aber das Ergebnis ist beachtlich. Die Texte - egal wie alt sie sein mögen - passen perfekt ins Hier und Heute. Jäger und Köchl servieren Hintergründiges sowie Direktes auf eine unfassbar authentische Weise, die den originalen Polt nicht vermissen lässt. Allein die Tatsache, dass Polt-Texte auch von einer weiblichen Stimme in Szene gesetzt werden, ist kein Stilbruch - im Gegenteil. Die Buntheit des Programms - das sich übrigens auch in den Kostümen wiederfindet - erhöht sich dadurch enorm. Lobend zu erwähnen ist auch das minimalistische Bühnenbild, immer da, wenn man es braucht, niemals überflüssiger Tand, aber ein Rahmen und eine enorme Unterstützung für das Wesentliche: Sprache und Mimik.

Die Abgründe des Lebens in satirische Farce, die Brutalitäten des Alltags ins Komische zu verwandeln: Das ist die Arbeitsweise von Gerhard Polt. Der gespenstische Realismus, der dabei entsteht, ist der wesentliche Teil der Psychohygiene, den dieses geniale Programm mit sich bringt. Ein begeistertes Publikum feierte verdient die außergewöhnliche Leistung von Anita Köchl, Edi Jäger und Hans Peter Horner in der Vorpremiere von "ÖHA" im Emailwerk Seekirchen. Eine klare Empfehlung.

(lf)