Nachlese
Poetisches Zugfahren
Zugegeben, das klingt schon ein wenig nach Zeitgeist, nach „Fridays for Future“ oder nach Greenpeace-Aktivismus. Ist es zwar nicht, aber Gemeinsamkeiten sind dennoch zu finden. Vor allem im Widerstand, gegen etwas, was falsch und zerstörerisch daher kommt. Heute genauso wie in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Es gab sie immer, die Widerständler, in verschiedensten Formen, so auch in jener eines Kinderbuch-Autors. Erich Kästner. Obwohl man mit diesem Schriftsteller meist die fantasievollen Bücher für Kinder assoziiert, zahlt es sich aus, den Lyriker Kästner zu entdecken. Da bemerkt man schnell, dass Gedichte weit mehr als langweilige Kunstform sein können, sondern eine lebendige und faszinierende Ausdrucksweise. Erich Kästner war ein wahrer Meister des Jonglierens mit der deutschen Sprache, ein Schriftsteller, der in einem Gedicht mehr sagen konnte als andere in einem Text in epischer Länge.
Das haben auch Charly Rabanser und das von Friedrich Pürstinger und Stefan Schubert gegründete Künstlerkollektiv Zelinzki für sich entdeckt und eine Musiktheater-Revue geschrieben und komponiert: „Zug. Eine Reise mit Erich Kästner“. Eigentlich hätte diese Produktion schon längst auf vielen Bühnen stattfinden sollen, aber die widerständige Pandemie hat das erfolgreich verhindert. Bis gestern. Da fand die Premiere im Seekirchner Emailwerk statt. Ein feinsinniges Stück Kunst haben die fünf Protagonisten (Charly Rabanser, Friedrich Pürstinger, Stefan Schubert, Markus Peitli, Camillo Mainque Jenny) auf die Bühne gezaubert. Einmal mehr öffnet sich ein Blick auf die Jahre zwischen 1933 und 1945, ein Blick, der das Abgründige im Banalen, das Alltägliche im Unfassbaren offenbart. Die moderne Theater-Revue mit 14 vertonten Kästner-Gedichten sind ein lebendiger Beweis dafür, dass Kästners Gedichte heute immer noch hoch aktuell sind, Unterhaltung, Trost und Orientierung bieten und sich zur Vertonung bestens eignen.
Dabei ist diese Produktion - egal ob beabsichtigt oder nicht - eine Anspielung auf das Kulturverständnis der Nationalsozialisten. In den meisten deutschen Musiktheatern und Opernhäusern lautete der Pakt zwischen den Nazis und dem Kulturbürgertum: Wir bieten euch ein blühendes Theaterleben, ihr lasst euch unterhalten ohne kritisch zu hinterfragen. Zelinzki schafft hier just das Gegenteil. Sie beweisen, dass Kunst die wahre Sprache des Widerstandes ist, Text und Dramaturgie ein Werkzeug der Entlarvung und Musik der Zug, in dem das alles verpackt und transportiert wird.
Die gesamte "Revue" ist gut durchdacht und dramaturgisch so aufgebaut, dass es keine Sekunde Langeweile möglich macht, man ist in den Bann gezogen von den differenzierten musikalischen Stilmitteln, die sich aus den unterschiedlichen Persönlichkeiten der allesamt mitkomponierenden Musikern ergeben. Charly Rabanser, langjähriger Intendant des Kulturzentrums Cinétheatro in Neukirchen am Großvenediger, kehrte als begnadeter Vorleser und Erzähler zu seinem Kindheitstraum zurück - er wollte eigentlich Lokführer werden. Er bringt alles mit - mit Mantel, Hut und Koffer betritt er das imaginäre Abteil und nimmt Platz auf einem klassischen Einzelsitz mit Hutablage, dazu noch sein kritischer Verstand und seine ironische Kommentierlust, gepaart mit leisen, mitunter ironisch gefärbten Tönen. Über die großartige musikalische Qualität braucht man sich angesichts der Besetzungsliste keine Sorgen machen, das verspricht und hält nur das Beste. Die Video-Animationen von Friedrich Pürstiger, umgesetzt von Christina Eckl, ergänzen das Bühnenbild nicht nur grafisch, sondern setzen wichtige inhaltliche Akzente und schaffen oft die Brücke in das Hier und Jetzt.
Alles in allem eine glänzende Vorstellung, eher würde man Leuchten statt Glänzen einsetzen wollen. Bedankt von einem begeisterten Publikum, das sich allen Applaus bis zum letzten Ton aufsparen musste - aber dann das Künstlerkollektiv mit Standing Ovation bedachte.
(lf)