Nachlese

24.02.2018 10:00 - Uhr

Nur reine, lebendige Musik

Es mutet schon seltsam an, wenn sich ein Trio auf die Bühne stellt und dem Publikum erzählt, eine Hälfte der Mitglieder sei aus Tirol, die andere aus der Schweiz. Und auch, wenn sie das Rätsel am Ende des Konzertes auflösen (was eigentlich gar nicht notwendig ist), ist diese selbstverständliche Art, etwas zu teilen, ein charakteristisches Merkmal ihrer Musik.

 

Einfach nicht einzuordnen, keine Schublade passt Ihnen, welchen Genre verwendet man hier, wenn man die großartige neue Jütz-LP in seiner Sammlung archivieren will? Diese Musik ist genrefrei, und gerade das macht sie so besonders. Anders als all jene, die der "Neuen Volksmusik" zuzuordnen sind, genießen sie das schwerelos Hüpfen zwischen den Welten, wie eine Biene von Blüte zu Blüte. Jütz vermittelt uns das, was wir schon so lange vermisst haben: Hier ist die Volksmusik in ihrer Geschichte zum ersten Mal wirklich auf der Ebene der zeitgenössischen Kultur angekommen. Der über die Grenzen Salzburgs hinaus anerkannte Musik-Journalist Bernhard Flieher widmete den Dreien anlässlich des neuen Albums eine ganze(!) Seite.

 

Keiner der drei kommt direkt aus der Volksmusik - vielleicht ist das ein Teil des Geheimnisses - aber sie bedienen sich in der traditionellen Volksmusik wie in einem Supermarkt. Früher haben die Menschen einfach gesungen, weil sie Spaß dran hatten, mit der Institutionalisierung kam die Schwere, der Heimatbezug rückte in den Mittelpunkt (weil es oft ein Identitätsangebot mit relativ hoher Breitenwirkung darstellte). Jütz befreit die Volksmusik und sich selbst von dieser Schwere, da kann es schon mal vorkommen, dass Mozarts "Kleine Nachtmusik", das Volkslied "In die Berg bin i gern" und die "Pippi Langstrumpf Kennmelodie" zu einem Lied verwoben werden.

 

Die drei, das sind die Tirolerin Isa Kurz, die mit fantastischer Stimme, mit Geige, Akkordeon und Hackbrett das Publikum ver- und entführt, Daniel Woodtli aus der Schweiz an Trompete und Flügelhorn, am Hackbrett und natürlich auch mit der Stimme dabei, und Philipp Moll, der singende Kontrabassist aus Tirol. Sie spielten an jenem Abend nur akustisch, also unverstärkt, was die Transparenz und Klarheit der Instrumente deutlich unterstrich. Es ist ein wahrhaft transzendenter Sound, der von diesem Trio kreiert wurde, ihr Zusammenspiel ist ein fortlaufendes musikalisches Gespräch, das den Hörer in jedes Lied hineinzieht. Dieser wunderbare Gleichklang lässt eines ganz klar erkennen: Dass das Ganze größer als die Summe seiner Teile ist. Es ist eine kraftvolle Einheit, die die kollektive Vitalität der Musik perfekt unterstreicht. Das Trio tummelt sich zwischen den widersprüchlichsten musikalischen Welten und bringt Lied für Lied die sinnliche Essenz der Melodien zum Schweben.

 

Am Ende dieses großartigen Konzerts steht fest: Jütz ist eine der ungewöhnlichsten Formationen, die die alpenländische Musikkultur zum Vorschein gebracht hat. Ein wenig fühlt man sich erinnert an den genialen Werner Pirchner, der in den Siebzigern einen der wertvollsten Diskussionsbeiträge zum Thema Volksmusik herausbrachte "Der Untergang des Abendlandes". Dabei wurde alles auf den Prüfstand gestellt: der Almrausch, die Trachtenvereine, das Alpenglühen, die Tiroler Schützen und sogar das Land selbst. Lauscht man der Musik von Jütz, scheint all das überwunden, keine Grenzen, keine Widersprüche, nur: reine, lebendige Musik.

(lf)