Nachlese
Neues Leben
Man sollte es vorwegnehmen. Wer eine melodramatische Abrechnung mit dem Tod oder einen vor schmerzhafter Rührseligkeit triefenden Trauerabend erwartet hat, wurde nicht bedient. Das Publikum erlebte eine in sich versunkene, aber nicht in sich gekehrte, eine verarbeitende aber nicht verbitterte Sophie Abraham, die die Zuhörer/innen im Emailwerk mit einem Abend so voller tiefer Gefühle, so voller mitreißender musikalischer Gedichte verzauberte, man konnte sich der warmen Magie dieser jungen Frau nicht entziehen.
Obgleich die auf schwarzem Samt tanzenden Schneeflocken zu jeder Zeit daran erinnerten, weswegen Sophie Abraham ihre unbändige Kraft und ihren Mut in Form ihres ersten Soloprogramms mit dem Titel „Brothers“ akustische Gestalt gab, vermittelte die begnadete Cellistin in ihren Stücken eine Form der musikalischen Hoffnung, des Weitergehens und ein von liebevollen Gedanken und Erinnerungen Getragenwerdens. Die beinahe zärtliche und trotzdem so inbrünstige Leidenschaft mit der Abraham mit ihrem Cello den Saal des Emailwerks in eine uferlose Bilderbuchlandschaft verwandelte, machte schlicht atemlos. Man vergaß beim Zuhören wo man sich befand, spürte den Sessel unter sich nicht mehr und wurde regloser Zeuge einer Musik, die man nur mit einem Ausdruck einigermaßen beschreiben kann: Seelenklänge.
„Weight Of Snow“, „Mariazellerweg“, „Jonathan“ – die Titel Ihrer Stücke sind so unterschiedlich wie ihre Anmutung und ihre Inhalte. Abraham neckt ihr Cello mit feinem Zupfen, streichelt es liebevoll, zieht mit sensiblen Loops da und dort zwei, drei zusätzliche Klangebenen ein und lässt es ein paar Augenblicke später beinahe martialisch durch den Raum schallen. Wenn sie ihre Stimme mit ihren Liedern verflicht, sei es um ihre berührenden Texte wiederzugeben, sei es um die Atmosphäre mit sphärischen Klängen weiter zu verdichten, wird Sophie Abraham als Ganzes zu einem Klangkörper, dessen emotionale Intensität im völligen Gegensatz zu ihrer in sich versunkenen Erscheinung auf der Bühne steht. Ihre Kompositionen überraschen an jeder Ecke mit neuen, feinfühligen Details. Das ganze Konzert steht im Zeichen der wandelbaren und innigen Verbundenheit der Künstlerin mit ihren durchdachten und bis zum letzten Ton mit Emotionen gefüllten Liedern. Die mitreißende Hingabe, mit der Sophie Abraham ihre Stücke interpretiert, ist an diesem Abend jeder einzelnen Zuhörerin und jedem einzelnen Zuhörer direkt ins Herz gegangen. Wenngleich der Anlass für dieses Programm der furchtbarste war, den man sich nur zu erdenken vermag, Sophie Abraham hat mit „Brothers“ neues musikalisches Leben auf die Welt gebracht…
(mw)