Nachlese
Kommt, wir gehen ein Stück…
Julia Lacherstorfer mit Sophie Abraham und Miriam Adefris zu erleben, ist etwas überaus Bewegendes. Ja, es ist ihre Musik, es sind ihre Stimmen und die gefühlvoll eingeflochtene, bildhafte Verstärkung. Aber die mitreißende Performance hat ihren Ursprung in der zutiefst ergreifenden Ambivalenz von tiefer Verletzbarkeit und einer nahezu unwirklichen Stärke.
Die Verbindung der spürbaren Sensibilität der Lieder, Texte und des Auftritts mit der unbeugsamen Ausstrahlung der drei Frauen ist schlicht atemberaubend. In ihrem Programm „Nachbarin“ thematisiert Lacherstorfer eine Art soziale Kausalität. Was passiert in meiner Umgebung und wie reagiere ich darauf? Die Umgebung ist in manchen Stücken örtlich nahe, in anderen entfernt, die Umgebung ist manchmal „jetzt“ und manchmal in der Vergangenheit. Im Grunde kreiert die Künstlerin durch die Komposition und Auswahl der Stücke ihren eigenen Beziehungsfilter zur Welt und gibt damit preis, was Teil davon ist und was nicht. Lacherstorfer lässt das Publikum unumwunden an dem teilhaben, was sie bewegt – und was eben nicht.
Die Stimme von Julia Lacherstorfer und ebenso jene von Sophie Abraham sind dafür gemacht, tief ins Herz zu gehen, ebenso wie ihre Kompositionen. Dennoch bietet das Programm ‚Nachbarin‘ weit mehr als ein gefühlsseliges Dahingetragenwerden – die Kompositionen von Lacherstorfer bemühen sich mehr um eine, so paradox es klingt, ernsthafte bis kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Empfindsamkeit. Emotionale Ehrlichkeit statt oberflächlicher Gefühlsduselei, seelische Reflexion statt Weinerlichkeit – genau aus diesem Grund ist man als Zuhörer so ergriffen von den drei Frauen und deren Musik.
Leider bedingt der unbeeinflussbare Lauf der Zeit auch ein Ende dieses Abends. Und so sehr der Wunsch nach einem Weiterspinnen der Geschichten in den Gesichtern der Zuhörer steht, so gerne man noch einer Begegnung lauschen möchte – es ist ein Ende ohne Bitterkeit, sondern eines, angefüllt mit einer tiefen, ausbalancierten Zufriedenheit. Kann man seinem Publikum mehr mit auf den Weg geben?
(mw)