Nachlese
Eine liebevolle Betrachtung des Lebens
Monsieur Ibrahim ist die Verkörperung dessen, was man heute gerne als Understatement bezeichnet. Dass er von allen als Institution und Weiser in seiner Straße angesehen wird, ist keinem messianischen Auftreten geschuldet, keiner glorienhaften Erscheinung. Es ist seine, in Jahrzehnten stoischer Ruhe ersessene, unerschütterlich gleichmütige Präsenz. Ibrahim ist einfach da, immer und er lächelt. Ruhe und lächeln, beides verunsichert den getriebenen Gesellschaftsteilnehmer bis ins Mark, ob seiner Seltenheit. Wer über Jahre so auftritt, ist in seiner Mitte und wer in seiner Mitte ist, ist ein Weiser. Punkt. Edi Jäger ergänzt die Rolle um seine wundervolle Verschmitztheit, was Monsieur Ibrahim besonders liebenswert und zugänglich macht. Auch dass sein Ibrahim nicht in Paris, sondern in Wien beheimatet ist, holt die Hauptfigur ein klein wenig näher ans Publikum. Jäger schafft auf hinreißende Weise Monsieur Ibrahim nicht als literarische Figur zu verstehen, sondern erweckt den arabischen Gemischtwarenhändler zum Menschen in Fleisch und Blut, den man nach der Vorstellung gerne um Rat fragen würde.
Momo ist auf dem Sprung in die Erwachsenenwelt und gerade völlig orientierungslos. Er wirkt wie ein leeres Blatt Papier, dass gierig nach einem Stift sucht. Zwar stählt der Teenager seinen Körper bereits im Puff, in der Annahme, damit endlich die Erwachsenenwelt zu betreten und muss sich, vom Vater alleingelassen, um den Alltag kümmern, in seinem Kopf jedoch regiert ein Chaos an ungläubigem Staunen und rotziger Adoleszenz. Allein diese beiden Rollen im unmittelbaren Dialog nebeneinander auf der Bühne zu selbstständigen Figuren zu formen, ist eine schauspielerische Meisterleistung. Jäger wechselt mühelos zwischen den Protagonisten, verliert dabei aber keine Sekunde die Tiefe und Komplexität des jeweils gerade agierenden, dass man in dem 90minütigen Stück nicht einmal darüber nachdenken muss, wer jetzt gerade am Zug ist. Die Wechsel gelingen Jäger so natürlich, dass die Harmonie der Geschichte nicht einmal unterbrochen wird.
Man sollte meinen, dass der jüdische Momo und der sufistische Ibrahim ob ihrer Glaubensunterschiede immer wieder Reibungspunkte finden. Doch das ist einem Vorurteil geschuldet. Moses ist sein Glaube egal und Monsieur Ibrahims Interpretation des Korans ist eine inkludierende und gütige. Die Sufis legen großen Wert auf die Langsamkeit. „Langsamkeit ist das Geheimnis des Glücks“ lautet zwar kein Vers des Korans, die Redewendung wird aber gerne metaphorisch benutzt und ist zugleich das Lebensmotto von Monsieur Ibrahim.
Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran enthält viele, liebevoll ausgestaltete Anekdoten und Seitenstränge. Momos Bordellabenteuer, Brigitte Bardot, der Ibrahim auf charmante Weise eine Flasche Wasser um 120 Schilling verkauft, ein Besuch in Triest, der Vater, der Momo verlässt und sich später das Leben nimmt, das Auftauchen der Mutter, der überlegene Bruder Popol, den es nie gab und einige mehr. Letzten Endes sind sie Alle kleine Lektionen, mit denen Monsieur Ibrahim Momo seine Sicht des Lebens erklärt. Und es ist einem so beseelt spielenden Edi Jäger zu verdanken, dass all das so gleichsam berührend und mitreißend beim Publikum ankommt. Der Meister der Mimik, des Sprachgebrauchs und der Wandelbarkeit zeigt in diesem Stück einmal mehr sein großartiges Talent, Schwieriges natürlich aussehen zu lassen. Die Blumen IM Koran hat sich Jäger mit dieser Glanzrolle jedenfalls mehr als verdient!
(mw)