Nachlese
Die radikale Pausenlosigkeit der Frauen
Man möchte meinen, dass ein Buch, das vor ziemlich genau 12 Monaten seine Ersterscheinung feierte, nur mehr mäßiges Interesse bei Lesungen generiert, noch dazu, wenn in derselben Kleinstadt die Autorin schon einmal mit ihrem Buch zu Gast war. Selbst die Autorin Mareike Fallwickl war überrascht davon, nach Seekirchen ein zweites Mal eingeladen zu werden, im Literaturbetrieb eher unüblich.
Doch es kam ganz anders. Ein Buch wie "Die Wut, die bleibt", das einen Nerv getroffen hat, der weit über den Begriff Feminismus hinaus geht, ist solange nicht auserzählt, solange der unverfälschte Blick auf die Ungleichheit der Geschlechter Aha-Erlebnisse bietet, die eine breite Selbsterkenntnis beim - vorwiegend weiblichen - Publikum auslösen. In den 1960er und 70er Jahren gewann der Feminismus, eine politische und soziale Bewegung, die sich für die Rechte der Frauen einsetzte - vor allem in Amerika, erst später in Europa - an Bedeutung. Dass diese Strömung in der Literatur als Spiegelbild der Gesellschaft noch immer nicht wirklich angekommen ist, konnte niemand ahnen, nicht einmal Mareike Fallwickl, darum fördert sie mit ihrer Popularität auch die Literatur anderer Autorinnen.
Dabei ist Feminismus eigentlich ganz einfach. Es ist die Überzeugung, dass es eine politische, wirtschaftliche und soziale Gleichheit zwischen den Geschlechtern geben sollte. Jeder kann ein Feminist, eine Feministin sein! Die einzige Voraussetzung ist, dass Sie der Meinung sind, dass Männer und Frauen die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben sollten. Das war's schon. Entgegen der landläufigen Meinung ist die Gesellschaft jedoch noch weit davon entfernt, diese Ziele zu erreichen, und dieses besondere Buch zeigt, warum.
Eine Frau springt vom Balkon. Die nächste Frau springt ein. Der Mann geht wieder arbeiten. Das ist die Kurzfassung. Im Detail wird es kompliziert. Darum ist eine Lesung von Mareile Fallwickl eher nicht wie eine Lesung angelegt, nein, es ist eine Erklärung, obwohl das Buch nicht erklärungsbedürftig ist, aber die Hintergründe dieses gesellschaftlichen Phänomens sind komplex, weil von Klischees, Rollenbildern und Zuordnungen ganzer Generationen geprägt. Und - so meint die Autorin - ganz stark vom Kapitalismus.
"Wir wurschteln uns alle durch", sagt sie, "als sei das ein persönliches Problem, ist es aber nicht. Die Erfindung der Hausfrau ist zutiefst systemisch geprägt, von einem System, das die Gesellschaft erfunden hat, die Gesellschaft sind wir, darum müssen wir das System wieder verändern." Kein System ist für immer, davon ist sie überzeugt, alles ist veränderbar, auch das. Die Rolle der Männer dabei? Fallwicks entschuldigt nichts, räumt aber Bedenken ein: "Er kann gar nicht aus dieser Rolle raus. Diese Zuschreibung ist so rigide. Erstens lernen Männer von Anfang an, dass sie dafür nicht zuständig sind. Zweitens lernen sie auch, dass sie es gar nicht so gut können. Und wenn dann Kinder kommen, dann gehen sie arbeiten, weil sie ja mehr verdienen, weil wir dieses unfassbaren Gender Gap noch immer nicht überwunden haben."
Nein, es ist diese krasse Perfektion der Gratisarbeit der Frauen, diese radikale Pausenlosigkeit der Menschengruppe, die für "Sorge" zuständig ist, für "Care", als wäre das gottgegeben. Die Welt leidet einfach unter den falschen Machstrukturen, sagt Fallwickl, es ist in diesem Kontext gerade mal die schlechteste dieser Welt. Würde man hier ansetzen, würden alle profitieren.
Es war ein besonderer Abend, geprägt von Hinsehen, Hineinfühlen, abseits unzähliger falscher Vorstellungen und Vorurteilen gegenüber dem Feminismus, hintangestellt waren Dinge wie Sensationslust in literarischen Besprechungen und oder irreführende Interpretationen. Es war ein offenes Gespräch, eine Begegnung mit einer Autorin, einer Frau, die weiß, worüber sie spricht, und das auch noch in eine wunderbare Sprache verpacken kann.
Es ist kein Wunder, dass Frauen sie bei Lesungen in den Arm nehmen und sich bedanken, dass einfach mal schwarz auf weiß steht, was sie die ganze Zeit leisten. Man fühlt eine solidarische Atmosphäre, die bei so einer Lesung entsteht, und wenn man die Augen schließt, kann man die Hoffnung spüren, die sich dabei entwickelt. Besser aber ist es, die Augen offen zu halten und mit äußerster Kraft und der Wut, die dann doch bleibt, gegen die Verhältnisse anzukämpfen. Mareike Fallwickl endete mit einer Kernbotschaft: "Was einer von uns geschieht, geschieht uns allen."
Danke.
(lf)