Nachlese
Die Kunst lebt!
Es war ein denkwürdiger Moment. Am 8. Mai 2021 betraten um 20 Uhr das erste Mal seit letzten Oktober Musiker die Bühne des Seekirchner Emailwerks. Ein lange geplantes Konzert, zweimal verschoben und trotzdem in den Lockdown hineingeraten, weil es einfach nicht mehr möglich war, die vielbeachtete ReCycling Tour von Manu Delago zu verschieben. Also passierte das Unvermeidliche - das Konzert fand ohne anwesendes Publikum, aber als Live-Stream im Internet statt. Dabei fühlte sich bei der Anreise der Musiker alles ganz normal an, wenn man diese fahrradgetriebene Tour als normal bezeichnen will. Denn Manu Delago ist mehr als nur Musiker. Der oft auf seine Mitarbeit und Freundschaft zu Björk oder ähnlichen Größen eingeordnete Hang-Spieler und Schlagzeuger verfolgt mit seinen Solo- und Band-Projekten eine ganz eigene Agenda. Die aktuelle Tour ist ein gutes Beispiel dafür, wie Manu Delago denkt und arbeitet. Bei der ReCycling Tour möchte er auf das Thema Nachhaltigkeit aufmerksam machen und CO2-neutral mehr als 20 Konzerte in Österreich und Südtirol spielen und die sechs Bandmitglieder die ca. 1600 km dabei ausschließlich auf ihren Rädern zurücklegen werden.
Ziel dieser Aktion ist es, neben der Musikbranche auch Menschen weltweit zu inspirieren, ihr Leben umweltfreundlich zu gestalten. Dazu wirft Delago täglich viele ökologische und nachhaltige Fragestellungen und Aspekte während der Tour auf. Dass er in Seekirchen auf einen Veranstalter traf, der just in diesen Wochen zur GREEN LOCATION zertifiziert wurde, war mehr Fügung denn Zufall. Denn der Kulturverein Kunstbox hat sich in der unfreiwilligen Schließzeit zur konsequenten Überarbeitung seiner Prozesse entschlossen, um einen sehr hohen Standard an Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit zu erreichen. Dazu gehören weit mehr Kriterien als nur ökologische. Auch ökonomische und soziale Kriterien wurden im Rahmen der Zertifizierung überprüft. Ein wichtiges Feld des Agierens liegt auch in der inhaltlichen Arbeit des Kulturvereins. Also ein Zusammentreffen von Umständen, die besser nicht passen könnten.
Das Konzert selbst war - wie man von Manu Delago erwarten kann - nicht nur ein Feuerwerk an Musikalität und Virtuosität, sondern voll mit Bildern, die das Nachhaltigkeits-Ziel der Tour widerspiegelten. Dazu gehörten zwei Fahrräder, die auch kurz ein instrumentale Rolle einnahmen, da war die Bühnenbeleuchtung, die ihre Energie ausschließlich aus den Photovoltaik-Elementen der Rad-Anhänger bezog, statt Applaus zwischen den Liedern gab konsequentes und lautstarkes Bedienen der vorhandenen Fahrrad-Klingeln, ausgeführt von den Technikern, Kameramännern und –frauen und den anwesenden MitarbeiterInnen.
Und trotzdem. Konzert-Livestreams sind für viele Berufsmusiker keine launige Abwechslung vom Alltag, sondern Überlebensstrategie. Der Ausfall von Gagen hat sie in eine Notsituation gebracht. Sie müssen neue Wege finden, sichtbar zu bleiben und im besten Fall Einnahmen zu generieren. Livestreams verändern aber auch die Musikszene selbst. Mit den Streams ‚for free‘ könnte eine parasitäre Gewohnheit entstehen, Kunst jederzeit und überall zu konsumieren - für nichts. Ein Missverständnis, denn irgendwer muss diese Kunst ja auch nach der Krise machen.
Bei aller Begeisterung, die das Team des Seekirchner Emailwerks und ihr Publikum zu Hause dieser persönlichen Premiere entgegenbrachte – es bleibt neben der großen Freude auch ein schaler Nachgeschmack. Es sind ganz viele Dinge, die wir in einem Konzertsaal vermissen, von dem aus gestreamt wird. Nicht nur der fehlende Applaus, auch der Schweiß und die Energie der Musiker und Musikerinnen, die Call & Response-Kultur zwischen jenen auf der Bühne und denen vor der Bühne, aus der die meiste Energie geschöpft wird. Musik ist Emotion und das kann ein Bildschirm nur bedingt leisten. Das beweist auch eine britische Studie: Zwei Konzertbesuche im Monat können den Weg für ein bis zu zehn Jahre längeres Leben ebnen. Dazu passt das aktuelle Ergebnis einer damit verbundenen repräsentativen Umfrage: Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie ein Live-Konzert glücklicher mache als Musik zu Hause zu hören.
Fazit: Es sind die Menschen wie Manu Delago, die uns in jeder Lebenslage und mit allen Mitteln mit dem versorgen, was wir als Publikum ganz dringend brauchen: das Lebensmittel Kunst. In seinem Fall sogar mit nachhaltigem Mehrwert. Online oder/und Offline. Danke.
(lf)