Nachlese
Der weiße Raum
Editta Braun lässt in ihrem Stück „long life“ viel Raum. Sowohl wörtlich genommen, nutzen die beiden Protagonistinnen den gesamten Saal des Emailwerks für Ihre Performance, vor allem aber lässt sie Raum für Interpretation, für Fantasie und zur Kreation eigener Geschichten. Es wäre aus diesem Grund auch zu faktisch, von einer Handlung im Sinn einer zeitlich verlaufenden Geschichte zu sprechen. Vielmehr verbindet Braun die Existenzen zweier Frauen über Kreuzungen an denen sich Schicksale überschneiden und danach gleich wieder trennen.
Die 74jährige, gespielt und getanzt von der ehemaligen Toihaus-Intendantin Myrtó Dimitriádou, bildet den mit dem Boden verwachsenen Ruhepol. Sie als Darstellung der Altersweisheit zu interpretieren, greift zu kurz. Sie wirkt im Bühnenbild vielmehr als matriarchalische Urkraft ohne Berührungsängste, ab und an ein wenig verunsichert ob des Eindringens zu moderner Elemente in ihren angestammten Lebensraum, dennoch aufgeschlossen und souverän zugleich.
Cat Jimenez spielt als 34jährige nur vordergründig den Millennial-Gegenpol. Zwar umreißt sie durch ihre unfassbare Agilität und den spielerischen Umgang mit aktuellen Kommunikationsmethoden recht deutlich, welchen Geistes Kind sie ist, dennoch verraten die nahezu symbiotisch verlaufenden Schnittpunkte mit der 74jährigen, dass Schnelligkeit und Kommunikationsbereitschaft nur äußere, weil gelernte Umstände sind. Der Baum als immer wieder aufgegriffene Metapher für Zeitlosigkeit und generationenübergreifender Orientierungspunkt symbolisiert in „long life“ ebendiese Schnittstellen zwischen Alt und Jung, zwischen den beiden Frauen im Besonderen und dem Fluss des Lebens im Allgemeinen.
Neben der bezaubernden Choreographie und dem so anmutigen tänzerischen Ausdruck verleiht der äußerst sensible, niemals überladend wirkende Einsatz von Projektionen „long life“ eine sehr eindrucksvolle, zusätzliche Ebene. Zum einen verstärkt sie die Darstellungen und den Dialog der beiden Künstlerinnen auf sehr subtile Weise, zum anderen wirken sie wie kleine Leuchttürme um die Zuschauer, deren Fantasien sicher in alle Richtungen davonstoben, wieder ab und an gemeinsam zu verorten.
Einmal mehr ist Editta Braun - als Künstlerin und Choreographin schon Stammgast im Emailwerk - ein höchst eigen- und selbstständiges Werk gelungen. Und einmal mehr kann der Ansatz einer Beschreibung nur einer unter tausenden sein. Man kann ihr für das unentdeckte Land, den Raum, den sie dem Publikum zur Verfügung stellt, nur dankbar sein. Ein kleiner Traum in Weiß…
(mw)