Nachlese
Das fünfte Element
Was A-Cappella-Musik zu leisten imstande ist und wie lebendig diese musikalische Spielform ist, galt es anlässlich der inzwischen 8. Ausgabe der O-TON VOCAL DAYS erneut unter Beweis zu stellen. QUINTENSE standen als erstes Konzert auf dem Programm. Ob sich der Bandname von „Quintessenz“ ableitet, den ursprünglichen lateinischen Ausdruck für das fünfte Element, oder der heutigen Bedeutung, die „das Wesentliche“ oder „das Wichtigste“ meint, war nicht in Erfahrung zu bringen. Der Rezensent hat schlichtweg nicht nachgefragt. Wahrscheinlich ist es eine Kombination von Quint (ein Intervall, das 5 Tonstufen umfasst) und Sense (englisch für ‚Sinn‘). Es könnte auch von Intense abgeleitet sein, das wären dann die intensiven Fünf. Wer weiß. Und vorweggenommen: Die 5 Musiker*innen, die auf der Bühne standen, boten mehr als ein musikalisches Meisterstück, eher eine sinnliche Reise durch die Welt des Pop und Jazz. Und als Beigabe noch sympathische und persönliche Moderation sowie eine Choreografie, die als solche nicht wahrnehmbar, aber doch unterstützend und gestenverstärkend da war.
Der Musikjournalist Jonathan Minkoff brachte in Zusammenhang mit den 5 Sänger*innen einmal den Begriff der „kohäsive Identität“ ins Spiel, was den Nagel auf den Kopf trifft. Denn insgesamt basiert die gemeinsame Arbeit von QUINTENSE auf einer tiefen Freundschaft und der gemeinsamen Leidenschaft für den Gesang, die sie durch ihre Musik mit dem Publikum teilen wollen. Es gibt keine bessere Beschreibung für QUINTENSE als „fantasievoll“. Das liegt daran, dass die in Deutschland ansässige Vokalgruppe ein Talent dafür hat, Klang, Geist und Emotionen auf wunderbare Weise miteinander zu verbinden und beweist das auch mit ihren wagemutigen Arrangement-Fähigkeiten. Dass dieser Klang auch die technische Unterstützung braucht, die er verdient, ist klar und verständlich. Wenn dann noch ein herausragender Sänger und A-Cappella-Fachmann wie Daniel Barke an den Reglern sitzt, steht einem faszinierenden Klangerlebnis nichts mehr im Wege.
Doch jetzt zum Konzert in Seekirchen, das auch das letzte der aktuellen Tour sein sollte: Schon bevor die Gruppe die Bühne betrat, war das Publikum in einer enthusiastischen und positiven Stimmung, was sich über den ganzen Abend noch steigern sollte. QUINTENSE eröffnete den Abend mit „Royals“ der neuseeländischen Sängerin Lorde, was eigentlich überraschte, weil es kein „Knaller“ war, sowohl vom Bekanntheitsgrad des Songs, als auch von der Energie. Aber genau darin lag das Geheimnis des Abends. Die Band steigerte die Intensität ihrer Songauswahl und auch der Energiedichte ganz bewusst sukzessiv den ganzen Abend. Es folgten Songs wie „Ain´t nobody“, „Another day in Paradise“, einer jazzigen und verspielten Version von „All about that Bass“ oder „Blackbird“ von den Beatles, um nur einige zu nennen. Auch ein ungewolltes Tribute an Salzburg war dabei: „My Favorite Things“, ein Lied aus dem 1959 entstandenen Musical The Sound of Music und dem gleichnamigen Film, der in Salzburg gedreht wurde. Das Solo ging dabei nahtlos zwischen den einzelnen Mitgliedern über, die Gesamtmischung ist einfach großartig. Dieser Flow, getragen von der Begeisterung des Publikums, ging auch nach der Pause munter weiter, eröffnet mit einer berührenden Version von „Human Heart“, gefolgt von „Friend in me“, „Iscariot“, „Best Part“, „Finesse“ und „Up & Up“. Der von normalen Besuchern zum Fanclub mutierte Zuschauerraum verweigerte zu diesem Zeitpunkt tobend das Konzertende und verlangte lautstark nach Zugaben.
Zusammengefasst: Das Unglaublichste an der Performance von QUINTENSE ist die Bandbreite ihres Könnens. Das stellten sie auch bei der allerletzten Zugabe unter Beweis. Das Beste kam aber erst zum Schluss. Sie legten die Mikrofone ab und versammelten im Halbdunkel an der Bühnenkante und sangen unplugged und herzergreifend „Viertel vor Sieben“ von Reinhard Mey. Das gerührte Publikum konnte da noch jede einzelne Stimme klar und unverfälscht genießen. Wenn a cappella als der Inbegriff von Gesang gilt, dann ist QUINTENSE der Inbegriff von a cappella. Sabrina Häckel, Katrin Enkemeier, Martin Lorenz, Jonas Enseleit und Stefan Intemann haben viel geschafft, aber sicher auch noch mehr vor sich.
Zurück zum Anfang: Aristoteles stellte den Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft ein neues, weiteres Element gegenüber. Denn während die vier irdischen Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft nach Aristoteles veränderlich sind und sich auch ineinander umwandeln können, war das fünfte Element – der himmlische „Äther“ jenseits des Mondes – unwandelbar und zeitlos. So auch diese wunderbare Musik.
(lf)